Klassengrößen senken und Inklusion stärken — zwei Forderungen, die oft zusammen auftauchen, aber in der Praxis selten Hand in Hand umgesetzt werden. Ich habe in meiner Arbeit als Journalistin und Aktivistin viele Schulentwicklungsprozesse begleitet und weiß: Veränderungen gelingen nur, wenn sie lokal, konkret und partizipativ angegangen werden. In diesem Text schildere ich pragmatische, politisch durchsetzbare Schritte, mit denen Kommunen und Schulträger in deiner Stadt sofort anfangen können — von der Analyse bis zur Umsetzung und Evaluation.

Warum Klassengrößen und Inklusion zusammengehören

Wenn Klassen überfüllt sind, bleiben viele Schüler·innen unsichtbar. Gerade Kinder mit Förderbedarf benötigen Zeit, Nähe und differenzierte Methoden. Kleine Klassen ermöglichen mehr individuelle Zuwendung, weniger Disziplinprobleme und echte Teamarbeit unter Lehrkräften. Inklusion wiederum bedeutet nicht nur physische Anwesenheit, sondern echte Teilhabe am Unterricht — das klappt nur mit angemessenen personellen Ressourcen, barrierefreien Räumen und guter Fortbildung.

Erste Bestandsaufnahme: Daten sammeln und sichtbar machen

Bevor man plant, muss man wissen, wo man steht. Ich empfehle eine kommunale Bestandsaufnahme mit folgenden Punkten:

  • aktuelle Durchschnittsgrößen pro Schulform und Jahrgang;
  • Anteil der Klassen über definierten Schwellen (z. B. >25 Schüler·innen);
  • Anzahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und ihrer Verteilung;
  • Raumkapazitäten (klassenraumgrößen, Differenzräume, Gruppenräume);
  • Lehrkräfte- und Sonderpädagogenstellen (Vollzeitäquivalente) sowie Vertretungsquoten.
  • Diese Daten müssen öffentlich sein — Transparenz schafft Druck und legitimiert Investitionen. Ein einfaches Dashboard auf der Website der Stadt oder des Schulträgers reicht oft schon, um Debatten anzustoßen.

    Konkrete Maßnahmen zur Senkung der Klassengröße

    Diese Maßnahmen sind pragmatisch, kosteneffizient und sofort umsetzbar:

  • Umverteilung von Schüler·innen: Oft gibt es innerhalb einer Kommune Überlastung in einer Schule und freie Kapazitäten in einer anderen. Kurzfristig können Aufnahmequoten und Schulwege geprüft werden. Dabei muss auf soziale Durchmischung geachtet werden, damit nicht sozial schwächere Quartiere abgehängt werden.
  • Teilzeitklassen / geteilte Lerngruppen: Gerade bei großen Jahrgängen können Schulen mit halben Klassenteams arbeiten: zwei Lehrkräfte teilen sich eine Jahrgangsstufe und unterrichten kleinere Gruppen.
  • Einführung zusätzlicher Lehrerstunden: Schulträger können zusätzliche Stundenkontingente schaffen (z. B. 0,3 oder 0,5 Stellen), die gezielt für Teamteaching, Förderstunden oder kleinere Gruppen genutzt werden.
  • Temporäre Räume nutzen: Vereine, Stadtteilzentren oder Bibliotheken können als zusätzliche Lernräume dienen. Mobile Trennwände und einfache Ausstattung (Tische, Stühle, Whiteboards) schaffen kurzfristig Kapazität.
  • Übergangslösungen durch Modulräume: Containerklassen sind keine Wunschlösung, aber sie bieten schnelle Entlastung, wenn neue Einschulungsjahrgänge erwartet werden.
  • Inklusion stärken — personell, räumlich, didaktisch

    Inklusion braucht mehr als das Aufteilen von Klassen. Es geht um Strukturen:

  • Mehr sonderpädagogische Fachkräfte: Jede Schule braucht Zugriff auf Förderkräfte, Sozialpädagog·innen und Therapeut·innen. Kommunen sollten Stellen für Inklusionsassistenz dauerhaft finanzieren.
  • Barrierefreie Infrastruktur: Einfache Maßnahmen wie Rampen, barrierefreie Toiletten oder akustische Hilfen kosten nicht die Welt, sind aber zentral.
  • Teamteaching als Standard: Zwei Lehrkräfte im Unterricht erhöhen Chancen auf differenzierte Unterstützung. Das muss in Stundenplänen und Stellenausschreibungen abgebildet werden.
  • Fortbildung für alle Lehrkräfte: Inklusive Didaktik und Classroom Management sind keine Spezialdisziplinen, sondern Basiswissen. Fortbildungsprogramme in Kooperation mit Universitäten oder Trägern (z. B. Volkshochschulen) sollten angeboten werden.
  • Kooperation mit außerschulischen Partnern: Jugendämter, Gesundheitsdienste, Beratungsstellen und Vereine müssen Teil des Netzwerks sein — Inklusion ist sozialräumlich.
  • Finanzierung: Woher das Geld kommen kann

    Eine der größten Hürden sind oft die Mittel. Aber es gibt Hebel:

  • Umlenkung städtischer Mittel: Einsparungen in Verwaltungsbereichen oder Umwidmung von Investitionsbudgets für Schulen.
  • Förderprogramme nutzen: Länder und Bund stellen Mittel für Schulsanierung, Inklusion und Digitalisierung bereit. Die Antragstellung erfordert Kapazitäten — hier lohnt sich die Kooperation mit Bildungsträgern oder Beratungsbüros.
  • Partnerschaften mit Stiftungen: Viele Stiftungen fördern innovative Schulprojekte (z. B. Stiftung Mercator, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung).
  • Genossenschaftliche Modelle: Eltern, Lehrer·innen und lokale Unternehmen können Träger von Schulprojekten oder Betreuungsangeboten werden.
  • Partizipation: Eltern, Schüler·innen und Lehrkräfte einbinden

    Ohne Akzeptanz bleibt jede Maßnahme wirkungslos. Deshalb muss Beteiligung früh erfolgen:

  • Bürger·innenforen und digitale Umfragen: Damit Betroffene ihre Prioritäten setzen können.
  • Klassenräte und Schülervertretungen stärken: Jugendliche kennen ihre Lernbedingungen und haben oft gute Ideen für Raumaufteilungen oder Pausenregelungen.
  • Konkrete Mitbestimmung bei Stundenplänen und Raumplanung: Lehrkräfte brauchen Entscheidungsräume, um Teamteaching oder Förderzeiten anzupassen.
  • Pilotprojekte starten — ein mögliches Muster

    Ich empfehle, klein und messbar zu beginnen. Beispiel für einen Pilotplan:

    PhaseMaßnahmeZeitraumErfolgskriterien
    AnalyseDatensammlung + Stakeholder-WorkshopsMonat 1–2Dashboard online, Beteiligungsprotokolle
    Implementierung2 Schulen: Klasse teilen, 0,5 zusätzliche Stellen, mobile RäumeMonat 3–8Klassengröße <20, positive Feedbacks
    EvaluationTestung von Lernfortschritt, Zufriedenheit, InklusionsindikatorenMonat 9–12Messbare Verbesserungen, Skalierungsempfehlung

    Messbare Indikatoren — woran wir Erfolg sehen

    Um politisch handlungsfähig zu bleiben, brauchen wir Kennzahlen:

  • Durchschnittliche Klassengröße pro Schulform;
  • Anteil der Kinder mit individueller Förderung, die diese auch tatsächlich erhalten;
  • Schülerzufriedenheit und Lehrergesundheit (z. B. Burnout-Rate, Befristungsquoten);
  • Leistungsergebnisse und Übergangsquoten (z. B. Sekundarstufe I zu II);
  • Raum- und Ausstattungssituation.
  • Gute Praxisbeispiele als Argumentationshilfe

    In mehreren Städten haben Modellprojekte gezeigt, dass kleinere Klassen und Teamteaching die besten Hebel sind. In Hamburg etwa wurden gezielt zusätzliche Stunden verteilt und in einigen Bezirken Klassengrößen signifikant reduziert. Solche Beispiele lassen sich dokumentieren, extrapolieren und als Vorlage für Förderanträge nutzen.

    Praktische Hilfsmittel und Tools

    Digitale Werkzeuge können die Umsetzung erleichtern. Ich nenne ein paar konkrete Tools:

  • Stundenplan-Software (z. B. Untis) zur flexiblen Raum- und Lehrerplanung;
  • Learning-Management-Systeme (z. B. Moodle, itslearning), um Differenzierung auch digital zu unterstützen;
  • Kommunikationsplattformen (z. B. Nextcloud, Microsoft Teams) für Lehrkräftekooperation und Elternkommunikation;
  • Einfache Raumlösungen: mobile Whiteboards, Stapelstühle, modulare Tische — Anschaffungen, die viel bewirken.
  • Wenn wir als Stadt klug planen, Ressourcen umverteilen und alle Beteiligten an einen Tisch holen, lässt sich in überschaubarer Zeit echte Veränderung erreichen. Es braucht Mut zur Prioritätensetzung und die Bereitschaft, kurzfristige Investitionen als langfristige Gewinne für Bildung und soziale Teilhabe zu sehen.