In den letzten Jahren höre ich immer wieder dieselben Geschichten aus Krankenhäusern, Pflegeheimen und der ambulanten Pflege: Überlastung, Schichtdruck, ständige Arbeit am Limit. Viele Pflegekräfte wünschen sich kürzere Arbeitszeiten – nicht aus Faulheit, sondern um Gesundheit, Familie und eine langfristige Berufsperspektive zu erhalten. In diesem Beitrag möchte ich konkrete politische Instrumente vorstellen, die verkürzte Arbeitszeiten für Pflegekräfte möglich machen, und erläutern, wie Kommunalwahlen und lokale Politik diese Maßnahmen wirkungsvoll umsetzen können.

Warum kurze Arbeitszeiten in der Pflege kein Luxus, sondern Pflicht sind

Als Politikwissenschaftlerin und Aktivistin sehe ich die Verkürzung der Arbeitszeit als eine Frage der Arbeits- und Gesundheitsgerechtigkeit. Kürzere Wochenstunden senken Krankheitsraten, reduzieren Überlastung und erhöhen die Arbeitszufriedenheit – und das wirkt sich direkt auf die Versorgungsqualität aus. Doch damit kürzere Arbeitszeiten nicht zu verschärfter Personalknappheit oder Lohneinbußen führen, braucht es durchdachte politische Maßnahmen.

Konkrete Politikmaßnahmen, die kurze Arbeitszeiten möglich machen

Hier stelle ich praktische Instrumente vor, die in Kombination funktionieren müssen:

  • Personalbemessung nach tatsächlichem Bedarf: Verbindliche Personalschlüssel (wie das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz in Teilen anstößt) müssen auf Basis von Patient:innen- bzw. Bewohner:innen-Bedarf und nicht auf Finanzierungszwängen festgelegt werden.
  • Finanzielle Kompensation durch öffentliche Mittel: Bund, Land und Kommunen müssen gezielt Gelder bereitstellen, um Mehrpersonal zu finanzieren. Ohne staatliche Zuschüsse werden Pflegeeinrichtungen die Kosten auf Beschäftigte oder Bewohner:innen abwälzen.
  • Tarifliche Erhöhungen und Lohnausgleich: Kürzere Arbeitszeit darf nicht Lohneinbußen bedeuten. Tarifverträge sollten Stundenverkürzung mit proportionalen Lohnanpassungen oder Zuschüssen flankieren – ähnlich dem Prinzip Kurzarbeit, aber langfristig angelegt.
  • Ausbau von Ausbildungsplätzen und Qualifizierung: Langfristig müssen mehr Ausbildungskapazitäten geschaffen und Umschulungsprogramme für Quereinsteiger:innen attraktiv gestaltet werden (z. B. durch Stipendien, Gehaltsgarantien während Ausbildung).
  • Investitionen in Digitalisierung und Arbeitsorganisation: Technologien, die Dokumentationsaufwand reduzieren (z. B. digitale Pflegedokumentation), sowie bessere Schichtplanung sparen Zeit und machen kürzere Stunden realisierbar.
  • Förderung von Modellprojekten: Kommunen können Trägern Anreize geben, Pilotprojekte mit 30- oder 28-Stunden-Wochen zu starten und deren Effekte evaluieren.
  • Rechtsrahmen für Arbeitszeitgestaltung: Lokale Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen müssen flexiblere Modelle erlauben, z. B. Teilzeit mit garantierten Schichtabdeckungen oder Jobsharing im Schichtdienst.

Wie lokale Wahlen und Kommunalpolitik das umsetzen können

Kommunalpolitiker:innen haben direkten Einfluss auf die Vergabe öffentlicher Aufträge, auf die Trägerlandschaft und auf Förderprogramme. Bei Kommunalwahlen sollten wir deshalb klare Forderungen stellen und konkrete Hebel benennen:

  • Ausschreibungen mit Sozialkriterien: Pflegeverträge, die Kommunen vergeben (z. B. in Seniorenheimen, Sozialstationen), müssen Anreize für gute Arbeitsbedingungen enthalten: Mindestpersonalschlüssel, Finanzierung von Arbeitszeitverkürzung und Tarifbindung als Zuschlagskriterium.
  • Förderprogramme für Pilotprojekte: Kommunen können Fonds auflegen, die Träger unterstützen, die auf 30- oder 28-Stunden-Modelle umstellen. Die Evaluation solcher Projekte liefert Daten für die Ausweitung.
  • Kommunale Arbeitgeberrolle nutzen: Wenn Städte Träger von Pflegeeinrichtungen sind, können sie selbst als Vorbild agieren – durch Einführung verkürzter Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich.
  • Kooperationen mit Bildungsinstitutionen: Lokale Politik kann Praxisplätze und Ausbildungskapazitäten ausbauen, in Zusammenarbeit mit Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
  • Transparenz und Monitoring: Kommunen sollten Verpflichtungen zur Meldung von Personalschlüsseln und Krankheitsraten einführen, damit die Wirkung verkürzter Arbeitszeiten messbar ist.

Beispiele und Modellrechnungen – was finanziell möglich ist

Oft höre ich das Argument: "Das kostet zu viel." Deshalb ein einfacher Vergleich (gerundete Zahlen zur Illustration):

ParameterAktuellMit 30-Stunden-Woche
Durchschnittliche Wochenstunden3830
Benötigte zusätzliche Stellen (pro 100 Vollzeit)0~26
Durchschnittsgehalt Brutto/Jahr36.000 €36.000 €
Zusätzliche Personalkosten (inkl. Nebenkosten)~25–35 % pro bestehende Gesamtkosten

Diese Kosten sind hoch, aber sie müssen in Relation gesetzt werden: Einsparungen durch geringere Krankheitsausfälle, niedrigere Fluktuation, bessere Versorgungsqualität und entlastete Krankenhäuser (weniger Notfälle oder Rehospitalisierungen) sind monetär relevant. Außerdem sind viele Kosten nur einmalig (z. B. Aus- und Weiterbildung), während Qualität sich langfristig stabilisiert.

Was lokale Kandidat:innen konkret versprechen sollten

Wenn Sie zur Kommunalwahl gehen oder Kandidat:innen befragen, sollten Sie auf konkrete Zusagen bestehen. Ich empfehle folgende Forderungen, die auf der Wahlliste stehen sollten:

  • Einführung von Sozialkriterien in allen städtischen Ausschreibungen für Pflegeleistungen.
  • Ein kommunaler Fonds für Arbeitszeitmodelle in der Pflege mit klarer Evaluationsfrist (z. B. 3 Jahre).
  • Tarifbindung für alle von der Kommune finanzierten Pflegeeinrichtungen.
  • Ausbau von Ausbildungsplätzen in Kooperation mit Kliniken und Berufsschulen, inklusive Tarifsicherung während der Ausbildung.
  • Transparenzpflichten für Personalschlüssel und Gesundheitskennzahlen in Pflegeeinrichtungen.

Was Gewerkschaften, Initiativen und Bürger*innen beitragen können

Politik allein reicht nicht. Gewerkschaften, Betriebsräte, Mieter:inneninitiativen und Bürger:innen müssen Druck machen:

  • Schrittweise Verbreitung von Pilotprojekten: Lokale Netzwerke sollten Modellbetriebe unterstützen und öffentlichkeitswirksam begleiten.
  • Öffentliche Kampagnen: Aktionen wie Petition, Stadtratsanfragen und Demonstrationen erhöhen den Druck.
  • Koalitionen bilden: Bündnisse zwischen Beschäftigten, Pflegenutzer:innen und Zivilgesellschaft schaffen breitere Legitimation.

Ich habe in lokalen Bündnissen erlebt, wie viel Wirkung eine gut organisierte Kampagne haben kann – von der Änderung von Ausschreibungsbedingungen bis zur Einrichtung eines kommunalen Fördertopfs. Es braucht Mut, klare Forderungen und eine Verbindung von Expertise und öffentlichem Druck. Die Reduzierung der Arbeitszeit für Pflegekräfte ist möglich. Es ist eine politische Entscheidung, die wir auf kommunaler Ebene anstoßen und verankern können.