In vielen Dörfern und Kleinstädten höre ich immer wieder die gleiche Klage: Die Praxis schließt, die nächste Notfallambulanz ist 30 Minuten entfernt, die Busverbindung passt nicht, und wer kein Auto hat, bleibt auf der Strecke. Dieses Bild ist kein Einzelfall — es beschreibt eine Realität, die unser Gesundheitssystem in ländlichen Regionen zunehmend gefährdet. Als jemand, die in der politischen Praxis versucht, Missstände sichtbar zu machen und konkrete Alternativen vorzuschlagen, frage ich mich: Warum sind wir hier gelandet und was können Kommunen sofort tun, um den Zusammenbruch aufzuhalten?

Warum bricht das Gesundheitswesen auf dem Land zusammen?

Es gibt mehrere miteinander verwobene Ursachen:

  • Ärztemangel und Praxisaufgabe: Viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sind altersbedingt nahe der Pension. Nachwuchs zieht es oft in die Stadt – aus Karrieregründen, wegen Partner*innen, Kulturangeboten oder schlicht wegen guter Infrastruktur. Die Folge: freie Vertragsarztsitze bleiben unbesetzt.
  • Klinikschließungen und Zentralisierung: Ökonomische Rahmenbedingungen und Fallzahlorientierung zwingen kleine Krankenhäuser zur Spezialisierung oder Schließung. Zentralisierung mag ökonomisch sinnvoll erscheinen, erhöht aber die Wegzeiten für Notfälle.
  • Mobilitätsprobleme: Öffentlicher Nahverkehr ist auf dem Land oft schlecht, Taktung unzureichend, Abend- und Wochenendverbindungen fehlen. Für Menschen ohne Auto bedeutet das faktisch einen Verlust an Gesundheitsversorgung.
  • Pflegenotstand und fehlende Versorgungskoordination: Wenn ambulante Pflege fehlt, steigt die Belastung für Angehörige — oft Frauen — und für die kommunale Sozialinfrastruktur. Es entsteht ein Teufelskreis aus Überlastung, Burnout und weiterer Abwanderung von Fachkräften.
  • Finanzielle Anreize und Vergütungssysteme: Die Vergütung in ländlichen Gebieten spiegelt nicht immer den zusätzlichen Aufwand wider. Investitionen in Praxisinfrastruktur oder moderne Technik lohnen sich für Einzelpraxen oft nicht.
  • Was Kommunen sofort tun können — pragmatisch und wirksam

    Viele Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene sind langfristig. Doch Gemeinden haben Handlungsspielräume, die unmittelbar Wirkung zeigen können. Hier sind konkrete Schritte, die ich in lokalen Bündnissen und Gesprächen mit Initiativen immer wieder empfehle:

  • Praxisnachfolge aktiv unterstützen: Kommunen können eine Praxisbörse einrichten, die freie Sitze, zu übernehmende Praxen und Unterstützungsangebote bündelt. Wichtig ist persönliche Begleitung: Vertragsvermittlung, Hilfe bei Bürokratie, Kontakte zu Investoren für Praxisräumlichkeiten. Ein gutes Beispiel ist das Modell "Landarztförderung" in einigen Bundesländern — kommunale Ergänzungsprogramme können diesen Prozess beschleunigen.
  • Anreize für Nachwuchsärzt*innen: Wohnraum und Kinderbetreuung sind oft das Zünglein an der Waage. Kommunen sollten gezielt bezahlbaren Wohnraum für medizini­schen Nachwuchs bereitstellen, befristete Mietzuschüsse anbieten oder Kita-Plätze reservieren. Eine kleine Gemeinde kann mit vergleichsweise geringen Mitteln attraktiv werden.
  • Mobilitätsangebote ausbauen: Flexible Fahrdienste, Rufbusse oder gemeinschaftlich organisierte Shuttle-Services zu Arztterminen helfen sofort. Einige Gemeinden arbeiten mit Plattformen wie "Moia" oder lokalen Taxi-Kooperativen zusammen — oft reichen bereits zwei bis drei koordinierte Fahrten am Tag, um chronisch Kranke zuverlässig zu versorgen.
  • Telemedizin praktikabel machen: Telemedizin ist kein Allheilmittel, aber ein wichtiges Instrument. Kommunale W-LAN-Hotspots in Rathäusern oder Bürgerhäusern, einfache Räume für Videosprechstunden und Unterstützung bei Technik (z. B. Tablets leihen) senken Hürden. Kooperationspartner können Hausärzte, die Kassenärztliche Vereinigung und Telemedizin-Anbieter wie "Doctolib" oder regionale Anbieter sein.
  • Mobile Gesundheitsangebote: Ambulante Versorgungsmobile (z. B. rollende Praxen, Zahnkliniken im Van) erreichen Menschen dort, wo sie leben. Kommunen können solche Angebote gemeinsam mit Krankenhäusern oder NGOs finanzieren und koordinieren — zeitlich begrenzte Pilotprojekte zeigen oft schnell Wirkung.
  • Multiprofessionelle Versorgungszentren (MVZ) fördern: MVZ bieten eine Möglichkeit, unterschiedliche Gesundheitsberufe (Ärzt*innen, Pflege, Physiotherapie, Sozialarbeit) unter einem Dach zu bündeln. Kommunen können Gewerbeflächen bereitstellen, Gründungsberatungen anbieten oder als Träger bei Bedarf kooperieren.
  • Kommunale Gesundheitsmanager*innen einstellen: Eine relativ kleine Investition — eine Vollzeitstelle oder Teilzeitkraft — kann große Effekte haben. Diese Person koordiniert Versorgung, Förderanträge, Mobilitätsangebote und bildet die Brücke zwischen Bürger*innen, Kliniken und Politik.
  • Kooperation mit Pflegediensten und Ehrenamt: Lokale Bündnisse aus Kommunalverwaltung, Wohlfahrtsverbänden und Nachbarschaftsinitiativen können Besuchs- und Unterstützungsdienste organisieren. Modelle wie "Gemeindeschwester Plus" oder Nachbarschaftshelfer*innen reduzieren Isolation und entlasten formelle Dienste.
  • Wie das finanziert werden kann

    Geld ist oft das erste Argument gegen schnelle Maßnahmen. Aber:

  • Viele Initiativen starten mit kleinen Budgets: Mobilitätskooperationen können mit jährlichen Beträgen von ein paar Tausend Euro Fahrtkosten gedeckt werden.
  • Es gibt Förderprogramme auf Landes- und Bundesebene — Kommunen sollten aktiv Anträge stellen. Ich hatte in meiner Recherche positive Erfahrungen mit Förderungen für Telemedizin, ländliche Infrastruktur und Praxisförderung.
  • Öffentlich-private Partnerschaften können sinnvoll sein, solange sie transparent sind und öffentliche Interessen gesichert bleiben.
  • Kleine Investitionen in Prävention und Koordination sparen mittelfristig teurere stationäre Versorgung.
  • Was Bürgerinnen und Bürger sofort tun können

    Nicht alles liegt in der Hand der Verwaltung. Lokales Engagement macht einen großen Unterschied:

  • Initiativen zur Patientenbeförderung gründen oder Fahrgemeinschaften organisieren.
  • Kommunale Petitionen starten, um eine Praxisnachfolge politisch sichtbar zu machen.
  • Raum anbieten: Wer Räumlichkeiten hat (Vereinsheim, Gemeindehaus), kann diese temporär für Telemedizin oder eine rollende Sprechstunde zur Verfügung stellen.
  • Freiwilliges Engagement: Nachbarschaftsnetzwerke unterstützen besonders ältere Menschen bei Terminen und technischen Hürden.
  • Wenn wir die drohende Gesundheitsversorgungskrise auf dem Land ernst nehmen, müssen wir weg von der Vorstellung, dass nur die großen Entscheidungen auf Landesebene zählen. Lokal umsetzbare Maßnahmen — Praxisnachfolge, Mobilitätslösungen, Telemedizin-Infrastruktur, Pflegesupport und multiprofessionelle Zentren — können schnell Lebensqualität sichern. Diese Schritte sind weder romantische Nischenprojekte noch teure Experimente: Sie sind pragmatische Antworten, die Kommunen sofort umsetzen können, wenn sie den politischen Willen, etwas zu verändern, mit praktischer Unterstützung verbinden.