Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem wir in unserer Stadt zum ersten Mal über die Gründung einer Wohnungsgenossenschaft sprachen. Viele waren skeptisch: „Ist das nicht veraltet?“ oder „Wer hat Zeit für sowas?“ Heute weiß ich: Genau darin liegt die Stärke. Eine genossenschaftlich organisierte, gerichtet auf Zweckmäßigkeit und Solidität — oder wie ich es gerne nenne: eine „rechteckige“ Wohnungsgenossenschaft — kann sehr praktisch, nachvollziehbar und robust beim Kampf um bezahlbares Wohnen helfen. In diesem Praxisleitfaden teile ich meine Erfahrungen, konkreten Schritte und Stolpersteine, damit ihr selbst aktiv werden könnt.

Was meine ich mit „rechteckig“?

Mit „rechteckig“ meine ich ein klar strukturiertes, pragmatisches Modell: einfache Satzung, transparente Entscheidungswege, Fokus auf Wohnraum statt Spekulation, und finanzielle Solidität. Keine ausgefallenen Geschäftsmodelle, sondern ein Modell, das für Stadtteile und Nachbarschaften leicht nachvollziehbar und reproduzierbar ist. Das Ziel ist, Struktur statt Sonderwege — damit Wohnraum dauerhaft bezahlbar bleibt.

Warum eine Genossenschaft und kein Immobilienunternehmen?

Genossenschaften sind per Gesetz auf den Nutzen ihrer Mitglieder ausgerichtet. Das heißt:

  • Gewinne werden nicht maximiert, sondern in den Bestand reinvestiert.
  • Mitglieder haben Mitbestimmung — das verhindert autonome Entscheidung von Investor·innen.
  • Langfristiges Denken wird belohnt: Instandhaltung, soziale Durchmischung, solidarische Mietmodelle.

Ich habe erlebt, wie das Gesicht eines Hauses sich veränderte, sobald Mieter·innen Anteilseigner·innen wurden: Reparaturen wurden prompt organisiert, Konflikte demokratisch gelöst, und Wohnungen blieben für Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen erhalten.

Konkrete Schritte zur Gründung einer „rechteckigen“ Wohnungsgenossenschaft

Aus meiner Praxis empfehle ich diese Reihenfolge — sie ist pragmatisch und vermeidet teure Umwege.

  • 1. Machbarkeitsanalyse: Wie viele Wohnungen werden benötigt? Welche Grundstücke oder Gebäude sind verfügbar? Wie ist die Nachfrage im Quartier?
  • 2. Gründungsgruppe bilden: Engagierte Nachbar·innen, lokale Initiativen, Gewerkschaften oder Mietervereine sind ideale Partner. Ich habe gute Erfahrungen gemacht, wenn mindestens 10–20 motivierte Menschen dauerhaft mitarbeiten.
  • 3. Satzung simpel halten: Klare Regeln zu Mitgliedschaft, Nutzung, Einlagen und Rückvergütung. Weniger ist mehr — komplizierte Vergütungsmodelle führen später zu Streit.
  • 4. Finanzierung klären: Mischung aus Mitgliedseinlagen, Förderkrediten (z. B. KfW), sozial orientierten Banken (z. B. GLS Bank), und ggf. kommunalen Zuschüssen. Ich empfehle frühzeitig Gespräche mit dem Genossenschaftsverband sowie kommunalen Wohnungsämtern.
  • 5. Rechtsform und Gründungsversammlung: Die eingetragene Genossenschaft (eG) bietet sich an. Die erste General- oder Gründungsversammlung beschließt Satzung und Vorstand.
  • 6. Erwerb oder Neubau: Bestandskauf ist oft schneller; Neubau bietet Planungssicherheit. Beide Wege haben Vor- und Nachteile (siehe Tabelle).
  • 7. Betrieb und Verwaltung: Professionelle Hausverwaltung vs. solidarische Eigenverwaltung — beides ist möglich. Ich plädiere für eine Mischform: professionelle Buchhaltung, aber demokratische Entscheidungen zu Mieten und Vergaben.

Finanzierung: wie mache ich das realistisch?

Finanzierung ist der Hebel, der entscheidet. In meinen Projekten hat sich folgendes Modell bewährt:

  • Mitgliedseinlage: moderate Einlage statt hoher Kaufpreise, z. B. gestaffelt nach Einkommen.
  • Förderkredite: KfW-Programme für sozialen Wohnungsbau nutzen.
  • Sozialer Impact-Investment: lokale Stiftungen, kirchliche Fonds oder solidarische Banken bringen Eigenkapital.
  • Kommunale Sicherheiten: oft gibt es kommunale Bürgschaften oder Zuschüsse, wenn Wohnraum sozial gebunden wird.

Wichtig ist Transparenz: Mitglieder müssen nachvollziehen können, wie Kosten entstehen und wie Rücklagen gebildet werden. Das schafft Vertrauen und verhindert spätere Konflikte.

Alltagspraktiken: wie bleibt Wohnraum wirklich bezahlbar?

Bezahlbar heißt nicht billig auf Kosten der Instandhaltung. Aus meiner Praxis empfehle ich diese Instrumente:

  • Mietmodell mit Staffelungen: Einkommensabhängige Mietstaffeln oder gedeckelte Mieten für bestimmte Wohnungen.
  • Sozialbindung: Verträge, die eine Weitervermietung zu freien Marktpreisen verhindern.
  • Quoten für lokale Haushalte: Reservierungen für Menschen aus dem Viertel, langjährig hier wohnende Familien oder Beschäftigte der Stadt.
  • Genossenschaftswohnungen nicht als Spekulationsobjekte: Übertragungsbeschränkungen der Genossenschaftsanteile.
  • Energieeffizienz: Investitionen in Dämmung und erneuerbare Energien senken langfristig Betriebskosten — hier lohnt sich der Blick auf Förderprogramme und Solar-Kollektoren.

Typische Probleme und wie wir sie lösen

Aus meinen bisherigen Projekten kenne ich wiederkehrende Fallstricke:

  • Konflikte innerhalb der Gründungsgruppe: Klare Rollenverteilung, externe Moderation und verbindliche Grundregeln helfen.
  • Finanzielle Engpässe: Aufbau einer Liquiditätsreserve und laufende Kostenkontrolle. Notfallkredite über regionale Förderbanken sind oft möglich.
  • Rechtliche Hürden beim Ankauf: Due Diligence ist Pflicht. Ich empfehle frühzeitig juristischen Rat einzuholen (z. B. spezialisierte Anwaltskanzleien oder Genossenschaftsverbände).
  • Gentrifizierungsdruck: Kooperation mit Stadtverwaltungen und politischen Bündnissen. Öffentlich Druck auf Eigentümer auszuüben kann helfen, Verkäufe zu verhindern oder Konditionen zu verbessern.

Kurzer Vergleich: Bestand kaufen vs. Neubau

Kauf Bestand Neubau
Zeithorizont Schneller – oft innerhalb eines Jahres bezugsfertig Länger – 2–5 Jahre je nach Planung
Planungssicherheit Begrenzte Kontrolle über Grundrisse Hohe Kontrolle über Wohnqualität und Energieeffizienz
Kosten Risiko von Sanierungs-Mehrkosten Planbare Baukosten, aber hohe Anfangsinvestition
Soziale Durchmischung Schnelle Beibehaltung bestehender Strukturen möglich Gezielte Schaffung von durchmischten Mieten

Wenn ihr überlegt, selbst eine Genossenschaft zu gründen oder euch einer anzuschließen: Sucht das Gespräch mit anderen Genossenschaften, dem Genossenschaftsverband und lokalen Förderbanken. Meine Erfahrung zeigt: Jede Stadt hat andere Konditionen — aber das Prinzip bleibt gleich: demokratisch organisiert, finanziell solide und dauerhaft sozial gebunden.

Wenn ihr wollt, kann ich in einem nächsten Text detailliert auf Satzungsformulierungen, Beispiel-Businesspläne oder konkrete Finanzierungsrechner eingehen — oder Kontakte zu Beratungsstellen und erfahrenen Genossenschaften in verschiedenen Bundesländern zusammenstellen.